Das Bild zeigt einen Filmausschnitt des Films"Contergan-Eine einzige Tablette" vom Filmproduzenten, Regisseur und Fotografen Michael Souvignier

‘Contergan‘ ist mein wichtigster Film!

Es sind fast 14 Jahre vergangen, seit der Film „Contergan“ erstmals im deutschen Fernsehen lief. Doch der Weg dorthin war schwierig. Rechtsstreitigkeiten mit dem Pharmaunternehmen Grünenthal führten immer wieder zu Verzögerungen. Der gesellschaftlich und künstlerisch wichtige Film kam schließlich 2007 via Fernseher in die Wohnzimmer. Am Ende entschied das Bundesverfassungsgericht.

 

 

Herr Souvignier, am Ende war es Zufall, dass die Erstausstrahlung von „Contergan – Eine einzige Tablette“ mit dem 50. Jahrestag der Markteinführung des Mittels Contergan zusammenfiel.

Es ist ja durchaus üblich, dass von der ersten Idee für einen Film bis zur Veröffentlichung viel Zeit vergeht. Die Entwicklung des Stoffes, der Story, der Drehbuchversionen und der Charaktere usw. dauert oft viele Jahre. Dann kommt die eigentliche Produktion. Im Fall meines Contergan-Films kam es, wie wir alle wissen, dann aus juristischen Gründen zu Verzögerungen. Der ursprünglich angesetzte Sendetermin war 2006. Das Zusammenfallen mit der Contergan-Markteinführung war also nicht beabsichtigt. Doch es gab dem Ganzen zusätzliche Aufmerksamkeit, zu der auch die juristischen Auseinandersetzungen beigetragen haben.

 

Was war der eigentliche Anlass für Sie, dieses Filmprojekt zu starten?

In diesem Fall kam es zur Initialzündung, weil ich auf der Straße vor meinem Büro in Köln-Müngersdorf immer wieder Menschen mit Conterganschädigung beobachten konnte. Das war bereits in den 1990ern. Ich kannte den Contergan-Skandal zwar von früher, gehöre sogar zu den gleichen Jahrgängen, aber man hatte in der Öffentlichkeit lange nichts mehr von den Betroffenen gehört. Die ehemaligen „Contergan-Kinder“ waren lange erwachsen, und ich fragte mich: Was ist heute mit ihnen? Wie viele gibt es eigentlich noch? Was für ein Leben führen sie? So kam mir dann die Idee zum Film.

 

Was war Ihre Intention?

Ich nehme Ereignisse der Zeitgeschichte – wie etwa bei den Filmen „Das Wunder von Lengede“, bei „Anne Frank“ oder zuletzt „Der König von Köln“ und „Die Goldjungs“ – und verarbeite sie zu lebendigen Filmstoffen. Natürlich auch zur Unterhaltung. Aber eben nicht nur. Film kann aufrütteln, kritisieren und Debatten anstoßen. Fast alle meine Filme beruhen auf wahren Begebenheiten.

 

Sie sagten damals, dass die Tiefe und Vielschichtigkeit des Themas Sie während der Recherchen nahezu überwältigt hätten.

Die Recherchen habe ich damals mit meiner inzwischen verstorbenen Frau gemacht. Im Zuge dessen lernten wir viele Einzelschicksale kennen. Wir wälzten alte Akten, Korrespondenzen, sichteten Bildarchive und sprachen mit Zeitzeugen. Das Bild, was sich uns zeigte, war in der Tat überwältigend. Man legt die Schichten frei, von denen man als Außenstehender wenig bis nichts weiß. Zum Beispiel, dass die äußerlichen Schädigungen nur ein Teil ausmachen. Es gibt auch innere, organisch wie psychisch.

Die juristischen, politischen, gesellschaftlichen und medialen Zusammenhänge waren weitere Faktoren, denen wir ebenso Rechnung tragen mussten. Wir wollten ja eine wahre Geschichte erzählen. Also habe ich einen Autor gesucht, der das schreiben und entwickeln konnte.

 

Sie haben dabei die 1960er Jahre authentisch wieder aufleben lassen. Nur konnten Sie – glücklicherweise – in Deutschland in den Nullerjahren keine Kinder mit Conterganschädigung mehr finden. Wie haben Sie dieses darstellerische Problem gelöst?

Das war lange Zeit ein Problem. Allerdings ist Contergan bzw. der Wirkstoff Thalidomid noch in einigen Ländern in Gebrauch. In Indien etwa, wo es trotz der Warnungen vereinzelt auch von Schwangeren eingenommen wird und entsprechende Schädigungen verursacht. Wir brauchten aber kein Kind aus Indien, sondern ein sieben- bis neunjähriges, um die Zeit während des Prozesses ab 1968 in Deutschland zu verkörpern. Wir haben dann herausgefunden, dass es eine seltene Erb-Erkrankung mit ähnlichen äußeren Schädigungen gibt und sind so auf die wunderbare Denise Marko gestoßen. Sie hat keine Arme und nur ein Bein. Sie hat die Rolle der geschädigten Tochter großartig dargestellt und hat überhaupt ein wunderbares Wesen. Eine tolle Person.  

 

Nach über zwei Jahren juristischer Auseinandersetzungen kam der Film schließlich ins Fernsehen. Hatten Sie mit dem Widerstand der Firma Grünenthal gerechnet?  

Wir waren ja nicht naiv. Und wir wussten, dass Grünenthal als Milliardenkonzern juristisch gut aufgestellt ist. Im Vorfeld haben wir uns mit sehr vielen Menschen ausgetauscht, auch mit Grünenthal und deren Anwälten. Man muss sich immer rechtlich absichern, das gehört zu den Hausaufgaben einer seriösen Filmproduktion, vor allem wenn man keine erfundenen Geschichten erzählt. Wir wollten aus der Sicht einer Familie exakt am tatsächlichen Geschehen bleiben. Das hat einigen nicht gefallen. Es wurde dann klassisch der Kampf David gegen Goliath.

 

Was waren die Gründe von Grünenthal, den Film stoppen zu wollen?

Man wollte das Thema wohl nicht mehr aufkochen, wollte Ruhe davor haben. Die Menschen mit Conterganschädigung waren, wie man dachte, ausreichend alimentiert. Dass sie noch in so großer Zahl am Leben sein würden, hatte man damals gar nicht geahnt. Alles war juristisch geregelt, und jetzt kommt da dieser „Filmemacher“ und wühlt das alles wieder auf! Grünenthal fand, dass das Thema für einen Unterhaltungsfilm ungeeignet wäre und einige Szenen „entstellend dargestellt“ würden. So kam es zunächst zur einstweiligen Verfügung.

Teilweise basierten die Einwände auch auf älteren Drehbuchversionen, die über Vertrauenspersonen nach draußen gelangt waren. Eine Forderung war, dass das Medikament – und damit der Film – nicht Contergan und die Herstellerfirma nicht Grünenthal heißen durfte. Darauf haben wir uns nicht eingelassen. Vor dem Landgericht Hamburg hieß es dann, der Film sei eine Dokumentation. Blanker Unsinn, wie jeder, der den Film sah, auch festgestellt hat. Der Richter hatte sich den Film kaum angesehen.

 

Eine der Hauptpersonen des Films, der Betroffenen-Anwalt Schulte-Hillen, schlug sich letztlich auf die Seite des Konzerns. Sie mussten die Figur im Film daraufhin verändern. Haben Sie eine Erklärung dafür?

So gefragt muss ich passen. Er selbst hat ein Kind mit Conterganschädigung. Wir wollten aus seiner Sicht erzählen. Aber irgendwie fühlte er sich im Film allzu wiedererkennbar dargestellt, was plötzlich ein Problem für ihn war. Sein Sohn war dann sogar mein Gegneranwalt. Das war alles sehr seltsam. Das Ganze hatte phasenweise was von einem Agententhriller. Ich wusste am Ende nicht mehr, wem ich was erzählen konnte, wem ich noch vertrauen konnte.

 

Die Einwände kamen also nicht während der Stoffentwicklung oder beim Dreh?

Nein. Die Produktion war schon abgeschlossen. Es gab einen Sendetermin. Erst dann prallten die juristischen Auseinandersetzungen auf uns ein. Sie müssen sich vorstellen: Da ging es auch um meine Existenz. Alles ist erledigt, alle Beteiligten sind bezahlt, doch die Produktionsfirma bekommt das Geld der letzten Rate vom Sender erst bei Ausstrahlung. Der Film kann weder im In- noch im Ausland eingesetzt werden. Und der WDR als Auftraggeber wurde ja auch juristisch belangt. Die zweieinhalbjährige Verzögerung war für mich elementar, seelisch wie auch existenziell.  

 

Am Ende entschied das Bundesverfassungsgericht…

Ja, und hob die einstweilige Verfügung und das Urteil aus Hamburg im August 2007 auf. Bei der Verleihung des „Bambi“ im Herbst appellierte ich auf der Bühne während der Preisverleihung dafür, dass Grünenthal uns nicht länger verklagt und endlich den Dialog mit den Contergan-Geschädigten sucht. Doch selbst danach war nicht Ende:  Eine Berufung durch Grünenthal vom OLG Hamburg wurde noch im Dezember 2008 zurückgewiesen. Dann ging Grünenthal wieder in Berufung, und der Fall landete beim Bundesverfassungsgericht. Wir haben gewonnen – und damit auch den Kampf David gegen Goliath.

 

Dennoch: Der Film hat das Thema Contergan wieder auf die gesellschaftliche und politische Bühne gebracht. 22 Mio. Zuschauer über die Erstausstrahlung und Wiederholung in den Drittprogrammen, Filmpreise nicht nur in Deutschland. Die Betroffenen fanden sich und ihr Leben gut dargestellt. Haben sie also alles richtig gemacht?

Nun ja, alles ist nicht möglich. Aber unterm Strich sehe ich das so. Am Ende war unser Ansinnen, mit dem Film eine Debatte anzustoßen, erfolgreich. Das kann Film, das soll Kunst allgemein leisten. Es ist viel passiert dadurch, und das macht mich froh und stolz. Innerhalb von Monaten nach der Ausstrahlung haben sich die Zahlungen für die Contergan-Geschädigten erstmals deutlich erhöht. Und auch Grünenthal hat 50 Millionen Euro an die Betroffenen gezahlt.

Ich hatte den Grünenthal-Vertretern damals schon geraten: lasst diesen Film passieren. Je mehr ihr euch wehrt, desto schwieriger wird es auch für euch. Diese Wucht aus Filmbildern, deren Emotionalität und Medienmultiplikation könnt ihr nicht aufhalten. Ich sollte Recht behalten. Von daher ist „Contergan“ für mich persönlich mein wichtigster Film. Vor allem, weil er den Opfern geholfen hat und eine Art Gerechtigkeit herstellte. Leider kam die Hilfe für die Betroffenen viel zu spät auf der Zeitachse.

 

© Fotoquelle: WDR / Zeitsprung / Willi Weber