Das Bild zeigt Natascha Eyber und Georg Löwenhauser bei einer Pilates Übung

Den Körper aus der Mitte stärken

Die Pilates-Trainerin Natascha Eyber und Georg Löwenhauser über ihre gemeinsamen Erfahrungen mit dem ganzheitlichen Körpertraining.

Natascha Eyber ist Pilates-Trainerin und -Ausbilderin. Seit 2009 betreibt sie das Pilates-House in München. Einer, der dort regelmäßig trainiert, ist Georg Löwenhauser, der Contergangeschädigter ist. Was ist das Besondere an Pilates, warum ist es für Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung geeignet und wie können noch mehr Menschen mit Conterganschädigung von Pilates profitieren? Wir haben mit beiden gesprochen.

 

Frau Eyber, wie hat sich Herr Löwenhauser heute im Training gemacht?

N.E.: Wie immer sehr gut. Wir machen das ja nun schon eine Weile zusammen. Georg war der erste Mensch mit Conterganschädigung, der vor fünf Jahren zu mir ins Studio kam und gefragt hat, ob er mal trainieren kann.

 

Und konnte er?

N.E.: Ja klar. In unser Studio kommen Menschen mit unterschiedlichsten Anforderungen. Manche hatten Unfälle, andere kommen mit typischen Zivilisationsproblemen und wieder andere mit angeborenen Beeinträchtigungen. Die Übungen und Einheiten müssen den jeweiligen körperlichen Gegebenheiten und Bedürfnissen angepasst sein. Das Thema Conterganschädigung war mir durch meinen Großcousin bekannt.

 

Was ist das Besondere am Pilates-Training?

N.E.: Zunächst ist es ein systematisches Ganzkörpertraining zur Kräftigung der Muskulatur. Dabei steht primär die Bauch-, Beckenboden- und Rückenmuskulatur im Fokus; also genau jene Bereiche, die man gerne vernachlässigt - besonders mit zunehmendem Alter. Vor allem wird dabei die „versteckte“ Tiefenmuskulatur angesprochen. Wie Yoga verfolgen wir auch einen ganzheitlichen Körper-Geist-Ansatz. Die Pilates-Methodik ist aber in erster Linie auf die Stärkung der Muskulatur und die Kräftigung der Körpermitte ausgerichtet

 

Herr Löwenhauser, wie kamen Sie auf Pilates?

G.L.: Eigentlich ganz simpel. Ich hatte berufsbedingt mit immer stärkeren Rückenschmerzen zu tun und hatte davon gehört, dass man mit Pilates erfolgreich dagegen angehen kann. Die Kniffe, die man am Schreibtisch ausprobiert – viel aufstehen, höhenverstellbare Tische, Sitzbälle – haben nicht mehr ausgereicht. Nachdem ich mich in die Thematik eingelesen hatte, wollte ich Pilates für mich ausprobieren.

 

Mit Anleitungen aus Büchern kann man doch auch viel selbst machen?

G.L.: Schon. Aber wenn Sie allein zuhause sind mit ihrer Matte und oder Geräten, wissen Sie nie, ob Sie die Übung wirklich richtig machen. Auch die Motivation ist wichtig, der Ansporn von außen, der durch die Trainerin kommt. So kam ich ins Pilates-House und bin dabeigeblieben. Auch weil sich sehr schnell eine Verbesserung eingestellt hat. Mit den Pilates-Übungen arbeite ich aktiv an meiner Kraft und erhalte meine Beweglichkeit.

 

„Pilates kann Menschen mit Behinderung sehr gut helfen“

 

Sie arbeiten auch mit Geräten.

N.E.: Anders als die klassischen Fitnessgeräte sind unsere besser anpassbar. Es wird viel mit Seil- und Federzügen gearbeitet. Also habe ich die Geräte zusammen mit Georg erst mal an seine Bedürfnisse angepasst. Man muss schauen, was der Zweck einer Übung ist. Was will ich erreichen? Welche Muskeln will ich stärken? So haben wir ein passendes Set an Übungen gefunden.


G.L.: Ich habe immer viel Sport getrieben. Das hilft natürlich für das eigene Körpergefühl und auch für den Spaß. Wenn Sie nie Sport getrieben haben und mit 60 mit solchen Übungen anfangen, kann das mitunter mühsam werden.

 

Wie können auch andere Menschen mit Conterganschädigung an den Möglichkeiten von Pilates partizipieren?

G.L.: Wir haben in Bayern einmal im Jahr sogenannte Therapietage. Da kommen wir mit verschiedenen Therapeuten zusammen, machen Übungen und tauschen uns aus. Da habe ich das Thema Pilates ins Spiel gebracht und den Kontakt zu Frau Eyber hergestellt. So konnten andere Contergangeschädigte ausprobieren, ob es ihnen auch so guttut wie mir.

 

Wie vielen hat es gutgetan?

N.E.: Allen! Momentan kommen fünf Menschen mit Conterganschädigung regelmäßig zu mir. Es wären bestimmt mehr, wenn die alle hier in der Nähe wohnen würden. Menschen mit Conterganschädigung sind ja über ganz Deutschland verteilt. Es wäre ein Wunsch, dass grundsätzlich mehr Menschen mit Behinderungen das Angebot nutzen würden. Man kann ihnen nämlich richtig helfen! Die Beweglichkeit verbessert sich, das eigene Zutrauen in den Körper steigt.

 

G.L.: Ich kann sogar als Laie erkennen, dass sich eine Person mit Conterganschädigung nach nur wenigen Sitzungen schon anders bewegt, ein besseres Gleichgewicht hat und insgesamt selbstsicherer agiert. Es geht dabei gar nicht um Sportlichkeit, sondern um Beweglichkeit.  

 

Wie ist die Idee zu dem Workshop entstanden, den Sie gemeinsam organisiert haben?

G.L.: Als Vorsitzender des Bundesverbands Contergangeschädigter e.V. habe ich zusammen mit Frau Eyber schon über die Landes- und Ortsverbände eine Art Programm angeregt, um Menschen mit Conterganschädigung einerseits und Trainer auf der anderen Seite zusammenzubringen. Das Konzept dazu ist leider nicht so gut angekommen, wie wir erhofft hatten. Immerhin haben wir den interaktiven Workshop „Pilates bei Conterganschädigung“ organisiert.

 

„Viele unterschätzen die Zahl der Menschen mit Conterganschädigung.“

 

Was sagen denn die Kolleginnen und Kollegen, Frau Eyber?

N.E.: Auf Treffen mit Pilates-Trainern oder beim Deutschen Pilatesverband e.V. stelle ich die Thematik vor. Dann sind alle erst mal begeistert. Viele unterschätzen aber die Anzahl der Menschen mit Conterganschädigung und denken, es gäbe nur eine Hand voll. Dabei ist ja ein Potenzial mit weit über 2.000 Betroffenen vorhanden. Das müssen sich viele erst noch klar machen. Manche trauen sich es vielleicht auch nicht zu, weil sie die Klientel nicht kennen und nichts über Conterganschädigung wissen.

 

G.L.:  Stimmt. Frau Eyber musste auch erst mal lernen, wo die Besonderheiten bei meinem Fall liegen. Und die sind bei uns allen ja anders. Sie fragte: Wo kann ich was über Conterganschädigung nachlesen? Ich sagte: nirgendwo (lacht). Daher sind der Austausch und der direkte Dialog ganz wichtig, um die Übungen individuell anzupassen. Die Therapeuten müssen ihre Scheu verlieren.

 

N.E.: Wiederum wissen die Geschädigten selbst sehr viel mehr über ihren Körper als andere. Sie lernen schneller, setzen Dinge schneller um als etwa jemand, der seinen ersten Bruch oder Bandscheibenvorfall hat. Die Angst vor dem Neuen ist weitaus geringer.

 

Wären Online-Trainings keine Lösung, um mehr Menschen zu erreichen?

G.L.: Ich würde ein Online- oder Ferntraining nur machen, wenn ich mich schon gut auskenne oder wenn die Trainerin mich kennt. Ich kann bekannte Übungen machen, aber ich weiß am Ende nie, ob ich es richtig mache.

 

N.E.: Bei Animationsfilmen oder Online-Trainings fehlt die direkte Interaktion. Sie können nicht eingreifen, niemanden stützen oder taktil, also per Eingriff die Position korrigieren. Man sieht auch nicht alles. Als Ergänzung ist es vielleicht machbar oder um neugierig zu machen. Das face-to-face ist bei Pilates nicht zu ersetzen, wenn es erfolgreich sein soll.

 

Wie kann man das Thema Pilates unter den Betroffenen bekannter machen? 

N.E.: Mein Team und ich sprechen über das Thema, wo immer es gut geht. Je mehr Menschen mit Conterganschädigung und je mehr Trainer darauf aufmerksam werden, desto besser. Die Betroffenen sollten einfach auf Pilates-Trainer und Trainerinnen vor Ort zugehen. Und natürlich umgekehrt.


LINKS:

Pilates House München 

Deutscher Pilates Verband e.V. 
 

Foto: Natascha Eyber